Entstehung des AMMEC
Moderne Geräte aus dem Bereich der Unterhaltungselektronik haben sich heutzutage zu wahren Multitalenten entwickelt. Bei der Suche nach einem geeigneten Gerät für den persönlichen Gebrauch sieht sich der Kunde mit einer schier unüberblickbaren Anzahl an Herstellern und Modellen konfrontiert. Allerdings birgt diese riesige Auswahl auch ihre Tücken, denn eine Kompatibilität der verschiedenen Geräte ist auf Grund unterschiedlicher „Standards“ und Anschlüssen in vielen Fällen nicht gewährleistet. Hinzu kommt, dass günstige Preise oftmals leider auch „günstige“ Qualität und reduzierte Funktionen bedeuten, in vielen Fällen gerade für blinde/sehbehinderte Menschen wichtige Funktionen. Demgegenüber stehen Hersteller im High End Bereich, die ihre Geräte mit immer mehr „tollen“ und „wichtigen“ Funktionen versehen, von denen ein Großteil für Blinde/Sehbehinderte unnötig oder gar nicht nutzbar sind. Für den blinden/sehbehinderten Nutzer stellen sich bei der Benutzung moderner MultiMedia Geräte gleich mehrere Probleme:
1. Die visuelle Menüführung zwingt den blinden/sehbehinderten Nutzer dazu, die Menüstruktur auswendig zu lernen, um sein Gerät überhaupt bedienen zu können. Hat er einmal eine Taste zuviel gedrückt oder ist er sich nicht sicher, muss der gesamte Vorgang von vorne begonnen werden. In vielen Fällen sind Blinde/Sehbehinderte gar nicht in der Lage ihr (neues) Gerät ohne die Hilfe eines Sehenden in Betrieb zu nehmen, da es für sie unmöglich ist den Sendersuchlauf auszulösen. Und selbst wenn man sich bis zur vollen Einsatzbereitschaft des Gerätes „vorgekämpft“ hat, führt die Komplexität der Menüstruktur, in der sich z.T. selbst Sehende nicht mehr zurechtfinden, dazu dass Blinde/Sehbehinderte ihre eigenen Geräte kaum selbstständig bedienen können.
2. Die mangelnde Zugänglichkeit der meisten Informationsmedien wie Fernsehzeitschriften, elektronische Programmführer oder Videotexttafeln erschweren dem blinden/sehbehinderten Nutzer die Programmierung seiner Geräte und die Aufzeichnung einzelner TV-Sendungen. Wann und wo einzelne Sendungen ausgestrahlt werden sind nun mal elementare Informationen, um eine Aufzeichnung zu programmieren.
3. Letztendlich konnte eine akzeptable Bedienbarkeit teilweise nur durch die Anschaffung verschiedener kostspieliger Geräte erreicht werden und selbst die Investition mehrerer Tausend Euro führte oftmals nicht zum gewünschten Erfolg. Nicht zuletzt durch den Umstand, dass mehrere Geräte auch mehrere Fernbedienungen bedeuten, die nicht immer durch beliebige Universalfernbedienungen ersetzt werden können, ohne weitere Schwierigkeiten oder Funktionsverluste zu verursachen.
Auch Marco Skambraks, blinder Software-Entwickler aus Marburg, hatte alle Probleme, mit denen sich ein Blinder bei der Bedienung „normaler“ MultiMedia Geräte „herumschlagen“ muss, aus eigener Erfahrung kennen gelernt. Durch seine beruflichen Tätigkeiten als Produktmanager für Hilfsmitteltechnologie bei der Firma F.H. Papenmeier und später als Linux-Entwickler für Hilfsmitteltechnologie bei der Firma SuSe-Linux Products GmbH, kannte sich Marco mit dem Thema „Accessibility“ bestens aus. Der seit längerem bestehende Kontakt zu dem blinden Informatikstudenten Halim Sahin, u.a. durch verschiedene OpenSource-Projekte unter Linux, intensivierten Marcos Überlegungen bei der Suche nach einer Lösung der Probleme. Auch Halim verfügte über umfangreiche Kenntnisse im Bereich der Hilfsmitteltechnologie, da er sich von Anfang an mit der Thematik intensiv und aktiv beschätigt hatte. Ebenso wie Marco kannte auch Halim das OpenSource-Projekt von Klaus Schmidinger und so kam es wie es kommen musste: Beide beschlossen in Anlehnung an Schmidinger ein neues Projekt zu entwickeln, dass ihre Vorstellungen von einer Lösung der Probleme besser treffen würde.
Der aktive Entwicklungsbeginn Anfang 2004 stand unter dem Motto „Hilfe als Selbsthilfe“ und war noch gekennzeichnet von klaren Abgrenzungen der Tätigkeitsbereiche zwischen Marco und Halim: Die Software-Entwicklung und damit das „Herzstück“ des späteren AMMEC lag bei Marco, während Halim wichtige Unterstützung durch das Testen auf Funktionsfähigkeit und Nutzbarkeit von Marcos Entwicklungen leistete. Im späteren Verlauf des Entwicklungsprozesses stieg aber auch Halim mehr und mehr in die aktive Programmierarbeit ein. Erklärtes Ziel der beiden Beteiligten war es, ein Gerät allein für den persönlichen Gebrauch zu entwickeln. Der Gedanke an eine Vermarktung des Projektes lag noch in weiter Ferne.
Zu Beginn des Jahres 2005 mündete die einjährige Entwicklungsarbeit in einem ersten Prototyp, der bereits über Grundfunktionen wie dem Aufzeichnen von TV-Sendungen und dem Videotext- und EPG-Reader verfügte. Allerdings ließ die Benutzerfreundlichkeit noch ein wenig zu wünschen übrig, da es sich noch um einzelne Bauteile handelte und die Bedienung nur für einem „Profi“ möglich war. Die erwiesene Funktionsfähigkeit des Prototyps und die Tatsache, dass sich die Entwicklung inzwischen – wie üblich – unter mehreren anderen Blinden herumgesprochen hatte, führten dazu, dass sich Marco zunehmend mit dem Gedanken einer „Serienproduktion“ beschäftigen musste. Und die immer weiter steigende Nachfrage drängte Marco zu einer Entscheidung.
Die Entscheidung zur Markteinführung fiel im Frühjahr 2005. Mittlerweile hatte die Entwicklung auch ihren heutigen Namen bekommen: „Accessible MultiMedia Entertainment Center“ kurz AMMEC. Auch in Sachen Benutzerfreundlichkeit hatte sich einiges getan. Dank Arne Weber und seiner ITV-Media AG konnte Mitte des Jahres eine erste Version des AMMEC in einem Gehäuse verbaut werden, so dass ab sofort die Benutzung auch für einen „Laien“ möglich war. Die unerwartete Zahl an Interessenten und Vorbestellungen bei der Vorstellung des AMMEC auf der IFA im Herbst 2005, versicherten Marco, die richtige Entscheidung getroffen zu haben.
Im Dezember 2005 konnte der AMMEC an den ersten Kunden ausgeliefert werden und mit Beginn des Jahres 2006 wurde die Serienproduktion aufgenommen. Von Beginn der Serienproduktion an stand der AMMEC sowohl für den digitalen Fernsehempfang über Satellit (DVB-S) als auch für digitales Kabelfernsehen (DVB-C) zur Verfügung. Die Möglichkeit des digitalen Fernsehempfangs über Antenne (DVB-T) kam mit der generellen Ausweitung der DVB-T Zugänglichkeit im Laufe des Jahres 2006 dazu.
Seit der Markteinführung wurde der AMMEC regelmäßig sowohl im Software- als auch im Hardwarebereich überarbeitet. Und um auch in Zukunft auf dem Stand der Technik zu bleiben wird der AMMEC auch weiterhin von seinen Schöpfern regelmäßig überarbeitet und weiterentwickelt, allein schon um den eigenen Ansprüchen gerecht zu werden. Denn trotz der sehr erfolgreichen Vermarktung arbeitet das AMMEC-Team nach wie vor nicht gewinnorientiert, um möglichst viele Geräte zu verkaufen, sondern um blinden und sehbehinderten Menschen ein Hilfsmittel zu bieten, damit sie selbstständig und ohne Einschränkungen alle Möglichkeiten eines modernen MultiMedia Gerätes nutzen können. Letztendlich ist und bleibt der AMMEC auch nach Jahren der Marktführerschaft immer noch ein Produkt von Blinden für Blinde.